Sonntag, Dezember 16, 2007

Wir, die Verbeulten

Wenig erforscht ist das menschliche Gehirn. So sind wir natürlich gerne bereit, unsere empirischen Ergebnisse weiterzureichen. Es steht nämlich seit kurzem fest: Das Sprachzentrum ist direkt gekoppelt an das Schuldbewusstsein.

Die Erkenntnis kam Ellas Mama, als Ella jüngst die gläserne Schneekugel auf den Boden warf, das Zersplittern des kitschigen Accessoires teilnahmslos beobachtete und ohne weitere Reaktion (z.B. einem gewissen Schuldbewusstsein!) durch ihren Alltag stapfte. Natürlich immer noch ohne zu sprechen. Wie gesagt. Das Sprachzentrum ist ja auch scheinbar mit dem Schuldbewusstsein verknüpft.

Dass Ella trotz aller Sprachlosigkeit dennoch tosenden Lärm machen kann, soll die reizende Anekdote vom letzten Sonntag ermitteln.
Der Berliner "Tatort" konnte nämlich nur dank der Videotext-Unterstützung für Gehörlose genossen werden.
Apathisch und unfähig oder unwillig, das durch die Wohnung tobende Kind zu bändigen oder zu erziehen, hingen die Eltern vorm Fernseher, in welchem ermittelt wurde. Nichts war zu verstehen von den Komissaren und den Verdächtigen. Ella hüllte alles in einen Klangrahmen aus Lachen, Poltern, "Ööööööööööh"-Schreien und Spielzeug durch die Gegend werfen. Und so knipsten die ratlosen Eltern dann die Videotext-Seite 150 an und ließen sich ihren Tatort untertiteln.

"Ööööööööööööööööööööööööh", machte es im Wohnzimmer.
"Sie sind vorerst festgenommen", übersetzte der Videotext.

Die Einheit der Familie kann nicht besser symbolisiert werden als durch eine gemeinsame Missbildung in Form eines Horns auf dem Kopf. Ja, wir alle drei sind verbeult. Schuld an jeder einzelnen Beule hat Ella.

Ihre eigene Beule führte sie sich heimlich zu. Sie krabbelte unbemerkt auf den Wickeltisch und stürzte sich kopfüber auf ihren Teppich. Weinen. Beule.
Ihren Eltern zog sie dann eine knallharte Holzrassel durch die Schädeldecke. Ein niedliches Kleinkind auf dem Schoß des Vaters, der an nichts Böses denkt - schon rummst es bedenklich laut an seiner Schläfe. Kein Weinen. Beule.
Wenig später klebte Ella auch der Mama mit der selben Rassel eine. Kein Weinen. Beule. Rassel weg.

Und so lief die verbeulte Kleinfamilie durch das kalte Hamburg und machte sich auf zu einem Flohmarkt.
Was wir nicht wussten: Es ist ganz schön klug, mit einem süßen Kind auf einen Flohmarkt zu gehen, der in Begriff ist zu schließen.
Ella wurde nämlich beschenkt! Hier ein Holzauto, dort eine Pampers-CD. Hier ein Garderobenhaken und da noch eine zweite Pampers-CD.

Eine Sache durfte sich Ella aber auch ganz alleine aussuchen auf dem Flohmarkt. Und so griff sie seelenruhig hinein in das reiche Repertoire auf dem Tapetentisch und fischte sich eine Maxi von Herrn Michael Jackson.
"Argh", dachte Papa und ging stumm mit seiner Familie, CDs von Pampers und Michael Jackson, einem Holzauto, einem Garderobenhaken und noch irgendwelchem Klimbim nach Hause.