Sonntag, September 03, 2006

Glocken beißen!

Viele Leute meinen, Gelsenkirchen sei nicht schön.
Das kann man so nicht stehen lasssen, heute allerdings zeigte sich die Stadt in der Tat von ihrer scheußlichsten Seite. Bei Sprühregen und heuchlerischen 21° kam jedenfalls kein Flair in der City auf.

Und was tat an einem Tage wie diesem ein Säugling wie Ella? Klar: Popeln. Was auch sonst, wenn der Herbstwind weht..?

Ja, Ella popelt seit gestern. Und da man ja nichts überstürzen will und sich jeder Gesichtsöffnung gleichermaßen widmen will, war gestern das Nasenloch dran und heute das Ohr (siehe Foto 2).
Übrigens: Papa und Ella sind im Gleichschritt auf dem Wege der Genesung. Hier niest es noch, dort läuft noch eine Nase, aber im Grunde ist man wieder wohlauf.
Und so wurde heute Vormittag gewissenhaft Unterricht vorbereitet, beziehungsweise der Unterrichtsentwurf mit Muttermilch bespuckt. Eben jeder, wie er kann.

Am Nachmittag stellten wir uns dem Sprühregen und marschierten in Richtung Altstadtcafé, wo man Torte aß und einen Tee trank, der vermutlich erst gepflückt, dann getrocknet und dann aufgekocht wurde. Anders sind die 35 Minuten Wartezeit aufs Kännchen Vanille-Tee nicht zu erklären.
Während Mama, Papa und die Kuchensahne beim Warten auf das Aufgussgetränk langsam sauer wurden, blieb Ella ganz locker. Bis die böse Kirchenglocke verkündetete, dass es 17 Uhr sei. Ella, die nicht getauft ist, fand das beharrliche Geläut so gar nicht romantisch und fing bitter an zu weinen. Glocken beißen!

Nachdem sie ausgiebig getröstet und von den unvermeidbaren Kaffee-und-Kuchen-Omas bewundert wurde, randalierte sie erst wieder am Gelsenkirchener Hauptbahnhof.
"Zero Tolerance" war Ellas Motto, als sie am Bahnsteig bemerkte, dass es sie leicht dürstete. Wir nahmen sie auf den Arm, gaben ihr ihren Nuckel (den sie jedoch nicht bemerkte, da sie konstant schrie und den Mund nicht ausreichend schloss), doch nichts half. Inzwischen versammelte sich eine staunende Menschentraube um die knallroten 54 Zentimeter, die den Bahnhof in Grund und Boden schrieen.
Unsere Hoffnung, Ella würde es bis nach Hause schaffen, zerschlug sich, als Ella auch in der Bahn brüllte wie am Drehspieß und jeder - vom jugendlichen Migranten bis zur greisen Witwe - über Ella und ihre verzweifelten Eltern diskutierte. Es half nichts. Ella wurde vor den Augen halb Gelsenkirchens gestillt, ließ aber zum Glück rechtzeitig vor dem Aussteigen locker und trank - ein anatomisches Wunder - oben in der Wohnung Brust zwei und drei leer.
Minuten nach dem Terror blickten dann wieder zwei unschuldige Äuglein in die Welt.